F.C. Hertha 03 Zehlendorf

F.C. Hertha 03 Zehlendorf

09.02.2023 / 1. Herren

Über die Zeit gerettet

„Kleine“ Hertha schließt nach 2:1-Erfolg über Blau-Weiß 90 zur Spitze auf

Der Spielbericht

Das war nichts für schwache Nerven. Als der Ball in den Schlusssekunden quer durch den Zehlendorfer Fünfmeterraum wie eine Flipper-Kugel sprang, sogar auf der Torlinie gerettet werden musste, da stockte nicht nur den älteren Zuschauern der Atem. So war es nicht verwunderlich, dass bei den Spielern der „kleinen“ Hertha nach dem Abpfiff keine pure Freude zu erkennen war, eher schon sprach Erleichterung über den 2:1-Erfolg im Berliner Derby gegen Blau-Weiß 90 aus ihren Gesichtern. Dabei hatte es zu Beginn nicht nach derartiger Dramatik ausgesehen.

Bei den Zehlendorfern reißen die Hiobsbotschaften nicht ab. Nach vielen schweren Verletzungen in der Vorrunde hoffte man nach dem Jahreswechsel auf Besserung, doch Trainer Schröder muss beinahe wöchentlich weitere Nackenschläge hinnehmen. Erst ein Knorpelschaden im Knie bei Mittelfeldmotor Valentin Henneke, der ihn wohl im schlimmsten Fall für ein Jahr außer Gefecht setzt, es folgten die berufsbedingten Abschiede von Torjäger Zulu Ernst und Innenverteidiger-Stütze Louis-Nathan Stüwe. Und nun erwischte es auch noch den Kapitän. Lenny Stein zog sich eine Bänderverletzung im Sprunggelenk zu, näheres wird eine heutige Untersuchung geben. Bleibt zu hoffen, dass kein größerer Schaden entstanden ist, gestern jedenfalls war der Knöchel noch dick angeschwollen.

So wartete Robert Schröder gestern Abend mit einer Neuerung auf, die Charme hat. Spielten doch mit Bruno Ott, Dennis Dombrowe in der Zentrale und Oskar Praus drei waschechte Zehlendorfer in der Abwehrkette – alle aus der eigenen Jugend ausgebildet. Um es vorweg zu nehmen, sie leisteten, gerade im zweiten Abschnitt Schwerstarbeit, machten ihre Sache ausgezeichnet, wobei Dombrowe mit seiner Übersicht und Ruhe noch herausragte.

Die 113 Zuschauer, die bei eisiger Kälte gekommen waren, bekamen zwei völlig unterschiedliche Halbzeiten zu sehen. Zu Beginn dominierte die „kleine“ Hertha, die auch folgerichtig in Führung ging. Doch zuvor musste 03-Schlussmann Jasper Kühn einen Freistoß aus zentraler Position von Florian Kohls aus gut 20 Metern über die Latte lenken. Die Kugel senkte sich gefährlich hinter ihm, doch reflexartig riss er noch die Hände hoch (8.). Im Gegenzug hatten die Gastgeber mehr Glück. Igli Cami, auch gestern wieder in guter Form, bediente Jason Rupp, der aus der Drehung im Gerd-Müller-Stil ins lange Eck zum 1:0 vollendete. „Jason sagt mir immer, er sei Stürmer, nun kann er mal zeigen, was er so drauf hat“, hatte Schröder am Sonntagabend seine Formation mit Maximilian Obst und Rupp als Stürmer begründet. Die passende Antwort folgte prompt. Der Stürmer selbst aber bekam seinen Treffer gar nicht richtig mit: „Ich habe selber gar nicht gesehen, wie der Ball reingegangen ist, sonder nur mitbekommen, dass alle gebrüllt haben.“

Eine Viertelstunde später schien die „kleine“ Hertha einem sicheren Sieg entgegenzustreben. Nach einem Konter über Cami und Obst gelangte das Leder zu Tim Grabow, der sofort abzog und sicher mit links zum 2:0 traf (25.). Die Zehlendorfer wirkten in den ersten 30 Minuten aufmerksamer und reaktionsschneller als ihre Gäste. Sie kamen auch mit der aus ihrer Sicht im ersten Abschnitt rechten Spielhälfte gut zurecht, die spiegelglatt manchmal eher einer Eisbahn ähnelte, versäumten aber nachzulegen. „Wir müssen nur unsere Torchancen zum 3:0 nutzen“, sagte Mushakir Razeek dazu später und Dombrowe pflichtete ihm bei, „dass wir trotz schwieriger Platzverhältnisse das Spiel gut unter Kontrolle hatten, wir müssen aber deutlicher führen.“ Ein Freistoß von ihm geriet zu zentral (32.) und Obst traf zuerst das Außennetz (43.), wenig später scheiterte er frei am herauslaufenden Torhüter Michael Hinz (44.). Auf der Gegenseite brachte nur (erneut) Kohls das Gehäuse von Kühn in Gefahr, sein Schuss vom Strafraumeck zischte jedoch hoch am Winkel vorbei (36.).

Nach dem Wechsel bot sich ein vollkommen anderes Bild. Fabian Engel gab für Blau-Weiß einen ersten Warnschuss aus 25 Metern ab (50.). Keine zwei Minuten später hatten die Gastgeber weniger Glück. Nach einem Eckball von der linken Seite erhielt der gerade erst eingewechselte Bob Okezie-Andicene die Kugel und beförderte sie artistisch per Fallrückzieher über Kühn hinweg ins rechte Eck zum 2:1-Anschluss (55.).

Nun begann bei den Zehlendorfern Spielern und Anhängern (nicht nur wegen der Kälte) das große Zittern. „Als wenn man ihnen den Stecker gezogen hat“, hieß es aus den Zuschauerreihen. „Das Gegentor hat uns schon sehr weh getan“, gab Razeek ehrlich zu. Fünf Minuten später war der Ausgleich unvermeidlich. Einen aus gut 20 Metern abgegebenen Schuss eines Blau-Weißen ließ Kühn nach vorn abprallen, der Ex-Zehlendorfer Romario Hartwig war zur Stelle, umkurvte noch den am Boden liegenden Kühn, das leere Tor keine fünf Meter vor sich, geriet dabei aber zu sehr nach links. Sein anschließender Schuss sauste parallel zur Torlinie – jedoch nicht in den Kasten (57.). Spätestens nun war deutlich, in welche Richtung die Begegnung laufen würde. Blau-Weiß warf alles nach vorn, von fehlender Motivation von wegen Rückzug aus der Liga war nichts zu spüren. Mitunter herrschte ein völliges Wirrwarr im Zehlendorfer Strafraum. Entlastung für die Schwerstarbeit leistenden Abwehrspieler gab es auch – eine! Doch nach einem Konter über Grabow und Obst, versprang Rupp die Kugel im letzten Moment vor Hinz (64.). Von da an hätte man die eine Spielhälfte abschließen können, spielte sich doch fortan alles im und um den Zehlendorfer Strafraum ab. Einem Herzstillstand kamen die Zehlendorfer Anhänger noch zweimal am nächsten: Kohls Volley-Versuch aus gut 20 Metern flog rechts vorbei (80.) und in den Schlusssekunden spielte sich die eingangs erwähnte Szene ab. „Glücklicherweise haben wir die Führung ins Ziel gebracht“, gab Dombrowe zu.

Schröder fand nach Spielschluss die Gründe, für die zwei unterschiedlichen Halbzeiten: „Nach der Pause hat uns ein wenig der Mut gefehlt. Aber wir waren, was Körpergröße angeht, auch klar im Nachteil. Das macht sich dann bemerkbar, wenn man nur noch lange Bälle schlagen kann. Dadurch haben wir die zweiten Bälle nicht bekommen und so konnte uns Blau-Weiß mit einfachen Mitteln immer wieder in Bedrängnis bringen. Da fehlte uns mit Lenny (Stein) natürlich ein wichtiger Kopfballspieler. Doch durch die erste Halbzeit haben wir trotzdem verdient gewonnen, auch wenn wir das eine oder andere Mal Glück hatten. Es war aber mit Sicherheit die jüngste Mannschaft, die wir je auf dem Platz hatten. Nur „Maxi“ (Obst) und Dennis (Dombrowe) sind über 25.“

Es bleibt ein Rätsel, warum die Zehlendorfer nach ihren Führungstreffern keine Ruhe in ihr Spiel bekommen. Schon in Pampow 2:0 führend (gegen bis zur 65. Minute harmlose Gastgeber) und in Fürstenwalde (nach 71 Minuten gegen einen in Unterzahl agierenden Gegner in Führung gegangen) kippten die Partien. Natürlich machen sich da die Ausfälle und Abgänge bemerkbar. Ein Stein mit seiner Übersicht und Ruhe am Ball in engsten Situation hätte gestern wertvolle Hilfe leisten können, ebenso ein Stüwe mit Ausstrahlung und Kommandos oder ein Ernst, der vorne Bälle „festmacht“ und für Entlastung gesorgt hätte. Aber Wenn und Aber zählen nicht, dafür die kämpferische Einstellung des gesamten Teams, bei dem jeder an seine Grenzen ging. Es grenzt daher nicht unbedingt an ein Wunder, ist aber dennoch erstaunlich, wie das Team (und Trainer Schröder mit seinem Stab) immer wieder Lösungen findet. Es hat nun nach Punkten zur Spitze aufgeschlossen - wenn auch bei einem Spiel mehr. Torschütze Grabow blickte schon voraus: „Wir haben jetzt eine gute Ausgangsposition und versuchen am Sonntag nachzulegen.“ Dann folgt die Aufgabe bei Eintracht Mahlsdorf – auf einem engen und kurzen Kunstrasenplatz. Früher ein Grund, mit Unbehagen anzureisen. Doch nach zwei Erfolgen auf diesem Geläuf, müsste das Selbstvertrauen zurückgekehrt sein. Nachdenklich stimmt jedoch, dass die „kleine“ Hertha dort seit ziemlich genau zehn Jahren dort ohne Treffer geblieben ist. Im letzten Jahr lautete es ebenso 0:0 wie im Aufstiegsjahr 2013/14. Im Februar 2013 hieß es 2:2 – nach 2:0 Führung. Aber seit gestern wissen sie ja, dass man Führungen auch über die Zeit bringen kann. Für Zuschauer und Trainergespann aber muss es nicht immer eine Herzinfarkt-Atmosphäre wie zuletzt geben. Lohnen würde sich ein Erfolg für die Spieler übrigens auch: Es winken zwei freie Tage.

 

FC Hertha 03 – Blau-Weiß 90 2:1 (2:0)

Hertha 03: Kühn; Praus, Dombrowe, Ott; Sow Sow (70. Burda), Cami (90.+3 Frölich), Stiller, Grabow (70. Hopprich), Razeek (85. Yoldas); Rupp (70. Ihbe), Obst 

Die Tore: 1:0 Rupp (10.), 2:0 Grabow (25.)

Zuschauer: 113

Gelbe Karten: Stiller

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