F.C. Hertha 03 Zehlendorf

F.C. Hertha 03 Zehlendorf

17.10.2020 / 1. Herren

Spitzenreiter unter Flutlicht bezwungen

Einwechselspieler bringen frischen Schwung/Starke Mannschaftsleistung vor guter Kulisse

„Ein Glück, darauf kann ich gut verzichten. Bei einer Pressekonferenz wird sowieso nichts interessantes erzählt.“ Zehlendorfs Trainer Fabian Gerdts reagierte erleichtert auf die Information, dass auf die (sonst) obligatorische Pressekonferenz in Corona-Zeiten verzichtet wird. Dabei hätte sie durchaus spannend werden können. Zum Beispiel hätte er Aufschluss darüber geben können, wie er sich die (Leistungs-)Diskrepanz seines Teams innerhalb von nicht einmal zwei Wochen erklärt. Damals ein seelenloser Auftritt mit gerechtfertigtem 1:6-Debakel gegen den Greifswalder FC, gestern nun ein begeisternder 3:2-Erfolg seiner Mannschaft über Spitzenreiter SV Tasmania.

Ein Schrecken fuhr den Zehlendorfer Verantwortlichen und Anhängern bereits vor dem Abpfiff in die Glieder. Die „kleine“ Hertha musste auf ihren etatmäßigen Schlussmann Paul Büchel verzichten. Ein Corona-Fall im beruflichen Umfeld zwang den Matchwinner des Pokalwochenendes in die Quarantäne und verhalf Patrick Amm zu seinem Saison-Debut. Der nächste Schock ließ in diesem Zusammenhang nicht lange auf sich warten: Amm leistete sich an der Strafraumgrenze einen Fehlpass, Tasmanias Daniel Kaiser nutzte das Missgeschick mit einem Heber ins verwaiste Gehäuse: 0:1 (6.).

Beurteilt man die 90 Minuten im Nachhinein könnte man es so ausdrücken: Die Zehlendorfer gewannen nicht „trotz“ sondern „wegen“ Amms Patzer. Man konnte es förmlich bis auf die gut besetzte Tribüne (421 Zuschauer) spüren: Es ging ein Ruck durch das Team, dass seinen Torhüter nicht im Regen stehen lassen wollte. Mittelfeldstratege Carl Hopprich, gestern einer von vielen starken Akteuren, drückte es so aus: „Es waren unglückliche Gegentore. Den Torwartfehler haben wir als Team einfach abgehakt. Sowas passiert eben mal. Aber wir haben die Köpfe nicht fallen lassen, sondern einfach weiter gemacht.“

Geholfen hat dabei sicherlich, dass der Ausgleich nicht lange auf sich warten ließ. Nach einer kurz ausgeführten Ecke konnte Kapitän Lenny Stein beim Torschuss nur regelwidrig gestört werden. Wer angesichts der mäßigen Torausbeute nach Elfmetern in Punktspielen befürchtete, dass es aus Zehlendorfer Sicht „schief gehen“ könnte, wurde eines besseren belehrt. Der Gefoulte selbst hatte seine Selbstsicherheit aus der Vorwoche konserviert und verwandelte vom Elfmeterpunkt in aller Ruhe in die vom Schützen aus gesehen linke Ecke (18.).

Fortan war es eine Begegnung auf Augenhöhe. „Ich finde, wir haben heute unser bestes Spiel gemacht. Wir haben endlich mal die Ruhe behalten, sind nicht nervös geworden und es haben auch alle an einem Strang gezogen. Alle blieben positiv“, nannte Ausgleichsschütze Stein die entscheidenden Faktoren. Fiel das Team in Greifswald nach dem schnellen 0:1-Dämpfer nach 60 Sekunden auseinander, bot es gestern (nicht nur) nach Ansicht von Präsident Niroumand „eines der besten Oberliga-Spiele, die ich gesehen habe.“ Niroumand bezog seine Meinung ausdrücklich auf beide Mannschaften.

Die besseren Möglichkeiten lagen bis zum Pausentee auf Seiten der Gastgeber: 1) Phil Butendeichs Steilpass auf Mike Ryberg, dieser passte dieser umgehend ins Zentrum - Melih Hortum scheiterte per Kopf nur knapp (25.), 2) Nach einem langen Ball von Louis-Nathan Stüwe steuerte Butendeich aus halblinker Position auf Schelenz zu, der in letzter Sekunde klären konnte (32.), 3) Hortums Freistoß aus 16 Metern stellte Schelenz vor keine großen Probleme (37.), 4) Nach einem erneuten Freistoß Hortums kam Jason Rupp freistehend zum Kopfball– doch fehlte seinem Versuch der nötige Druck (40.).

Der Beginn der zweiten Hälfte glich einem Spiegelbild des ersten Abschnitts: Tasmania brauchte nur wenige Minuten, um erneut in Führung zu gehen. Nach schnellem, direktem Spiel durchs Mittelfeld stand Mittelstürmer Brechler plötzlich frei vor Amm: 1:2 (49.). Ausgerechnet Brechler, der sich schon zu seinen Lichtenberger Zeiten als ein Zehlendorfer Schreckgespenst entpuppte.

Doch auch von diesem Nackenschlag ließen sich die Zehlendorfer nicht entmutigen. „Der Trend der letzten Woche hat sich heute fortgesetzt. Eine tolle Mannschaftsleistung, wenn man bedenkt, dass wir zweimal früh in Rückstand geraten und die taktischen Vorstellungen der Trainer damit sicher über den Haufen geworfen wurden“, gab Teammanager Michael „Zippo“ Zimmer später zu Protokoll und ergänzte: „Wie wir da zurückgekommen sind – wie schon gegen TuS Makkabi, als Team.“

Tatsächlich rückten die Gastgeber zusammen: Stüwe und Stein schlossen die Löcher und boten sich ihrem Schlussmann immer wieder als Anspielstation an, Maximilian Obst rackerte wie sein Nebenmann Hopprich für Zwei, die Außenverteidiger Mike Ryberg und Dennis Dombrowe ließen insgesamt nur wenig zu. Fast könnte man annehmen, das neue Trainergespann Gerdts/Schröder hätte vor dem Anstoß das Vereinslied der „Hajos“ aufgelegt. In einer Strophe heißt es da „Gekämpft haben wir wie die Löwen“, denn der „Rest“ stand den eben Genannten an Einsatzbereitschaft in nichts nach. 

Es blieb ein offener Schlagabtausch mit Zehlendorfer Möglichkeiten: Rybergs 25-Meter-Schuss hielt Schelenz (58.), Rybergs Flanke nahm Rupp direkt (72.). Da hatte Gerdts bereits die Wechsel vollzogen, die dem Spiel die Wende gaben und die bewiesen, dass er durchaus ein glückliches Händchen hat. Egzon Ismaili, Kolja Oudenne und Patrick Jahn waren maßgeblich daran beteiligt, dass sich die Partie drehte. Schon Gerdts Vorgänger Simon Rösner hatte gebetsmühlenartig darauf hingewiesen, dass die Spieler, die von der Bank kommen, für starke Impulse sorgen können.

„Es kam mit uns Einwechselspielern noch einmal frischer Wind von der Bank. Ich habe gleich versucht, den Schwung mitzunehmen und schnell getroffen“, erklärte Patrick Jahn später gut gelaunt. Es war eine Co-Produktion der frisch Gekommenen. Wobei „Co“ nicht ganz richtig ist: Schließlich waren mit Ismaili (Pass auf Oudenne), Oudenne (Hereingabe auf Jahn) und Jahn (Direktabnahme zum 2:2) drei Akteure beteiligt (79.). 

Hierzu zwei kurze Anmerkungen: 

Wer auf den Rängen glaubte, der schmächtige Oudenne wäre vielleicht nicht der richtige Mann in dieser körperbetonten Partie gegen Tasmanias robuste Abwehrrecken, sah bereits nach wenigen Aktionen, dass er mit dieser Einschätzung falsch lag. Oudenne, ballgewandt, hatte vorher schon mit einem 18-Meter-Schuss auf sich aufmerksam gemacht. Wie er den Treffer vorbereitete: Mit dem rechten Fuß nach rechts gespielt, technisch perfekt.

Patrick Jahn entwickelt sich zum echten Torjäger, der nach Einwechslungen sofort im Spiel ist. Seinen überschaubaren Einsatzminuten stehen immerhin schon drei Treffer gegenüber. Nach weniger entscheidenden (Ehrentreffer beim 1:6 in Greifswald und ein Tor beim 7:1 gegen Seelow) nun ein eminent wichtiger Schuss zum 2:2. Später hätte er sogar noch das 4:2 machen können, doch nach einem Steilpass von Oudenne (von wem sonst in dieser Phase) zielte er zu ungenau (90. + 2). Schwamm drüber!

Die Entscheidung fiel, beinahe typisch für solch eine dramatische Begegnung, in der Schlussminute. Eine Eingabe Jahns köpfte Stein zu dem im Fünfmeterraum lauernden Stüwe, der mit wuchtigem Kopfstoß das 3:2 erzielte (90.). Flankengeber Jahn hierzu: „Beim 3:2 wollte ich den Ball direkt in die Box bringen – dass Lenny den dann quer legt und Louis trifft, ist natürlich überragend. Wir haben uns das auch verdient.“

„Wir haben zurecht gewonnen, weil wir mehr investiert haben. Wenn Schelenz nicht so gut gehalten hätte, wären wir schon früher in Führung gegangen. Auch für die Liga insgesamt ist es gut, dass es wieder etwas spannender geworden ist. Wir selbst sind aber bei weitem nicht dran, aber Greifswald und alle anderen freuen sich, dass wir gewonnen haben“, hielt Niroumand den Ball bewusst flach. Angesichts von immer noch neun Zählern Rückstand verbietet sich ein Blick nach (ganz) oben (noch) von selbst. Für Trainer Gerdts war es „ein sehr enges Spiel. Aber wenn man die Spielanteile, die gefährlichen Situationen, Angriffe und Torschüsse betrachtet, waren wir genau das eine Tor besser. Natürlich war der Zeitpunkt des Treffers glücklich, aber wenn man alles zusammen nimmt, dazu gehört auch unsere Mentalität, waren wir diesen Tick besser.“ Nun gehen die Zehlendorfer auf Reisen. Zuerst steht am Mittwoch die Auswärtspartie beim FC Strausberg auf dem Plan. Für Co-Trainer Schröder ein Charaktertest: „Wir müssen dort auch diese Gier auf den Platz bringen, die uns heute ausgezeichnet hat. Wer dort an einen Selbstläufer glaubt, irrt sich gewaltig.“ Daher gilt folgendes, so komisch es auch klingen mag. Vor Wochenfrist schrieben wir, dass Tasmania nach dem Greifswalder Fiasko als Gegner gerade zur rechten Zeit kommt. Strausberg nun dagegen als leichten Aufgalopp zu betrachten, gerade nach dem begeisternden Erfolg über den Spitzenreiter, könnte sich als fatal erweisen. Daher liegt mehr Arbeit vor dem Gespann Gerdts/Schröder als man gestern Abend im Stimmungstaumel glauben mochte.

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