F.C. Hertha 03 Zehlendorf

F.C. Hertha 03 Zehlendorf

15.08.2016 / 1. Herren

Olli's Nachbetrachtung 2.Spieltag

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Unfassbar: 0:1, 1:1, 1:4, 4:4!

Zehlendorfer beweisen Moral in Unterzahl / Obst gelb-rot-gesperrt / Dombrowe droht lange auszufallen

Ein WM-Endspiel hätte kaum dramatischer verlaufen können als die Partie am Samstagnachmittag im Schweriner Stadion Lambrechtsgrund. Mit einem 1:4-Rückstand im Gepäck und gesenkten Köpfen schlichen die Berliner Spieler zur Pause in ihre Kabine, um nur wenige Augenblicke später wild entschlossen zurückzukehren und eine der beeindruckendsten Aufholjagden der Vereinsgeschichte zu starten.

Nichts sprach nach den ersten 45 Minuten mehr für den Vorjahresdritten aus Zehlendorf. „So etwas ist mir noch nicht passiert, seit ich hier Trainer bin“, war auch Zehlendorfs Coach Markus Schatte hinterher noch etwas ratlos. Wie schon vor Wochenfrist gegen den FC Strausberg hatte sein Team die erste Hälfte komplett verschlafen. Auch Torjäger Niclas Warwel („Wir verpennen immer die erste Hälfte“) konnte sich hinterher nicht erinnern, einen 1:4 Rückstand zur Pause schon mal erlebt zu haben. 

Der Ursache kam Torhüter Nico Hinz später im Kabinentrakt am nächsten: „Wir haben uns schlecht bewegt und sind denen in die Konter gelaufen. Alle Gegentore sind durch individuelle Fehler entstanden.“ Und tatsächlich brannte es insbesondere auf der rechten Zehlendorfer Abwehrseite so manches Mal lichterloh. “Wir haben in der Defensive desolat agiert“, bekannte Schatte hinterher auf der Pressekonferenz. Er selbst hatte noch in der ersten Hälfte reagiert und früh den erst 17-jährigen offensiven Berkan Taz für den etwas unglücklich agierenden Marco-Antonio Fortino gebracht, um Abhilfe zu schaffen. Doch wer nun den Stab über den jungen Fortino  brechen will, tut dem gerade erst den A-Junioren entwachsenen Außenverteidiger unrecht. Das gesamte Team ließ in der Rückwärtsbewegung das vergessen, was man sich vorgenommen hatte. “Wir haben viele Fehlpässe gespielt und so den Gegner zu Kontern eingeladen“, fand Berkan Taz die treffende Analyse.

Dabei hatte die „kleine Hertha“ auf den frühen Rückstand durch Witkowski (9.) prompt reagiert. Der in der Endphase der vergangenen Saison etwas vom Schussglück verlassene Efräim Gakpeto bewies wieder einmal seinen Torriecher. Vom Ausgangspunkt „Maxi“ Obst kam das Leder über Umwege (Hopprich, Ademi) zu Gakpeto, der aus Nahdistanz sicher vollendete: 1:1 (10.). Wer nun aber glaubte, die Berliner wären inzwischen hellwach und das Gegentor nur einer einmaligen Unaufmerksamkeit geschuldet, sah sich schnell eines besseren belehrt. Nur vier Minuten nach dem Ausgleich war es erneut Witkowski (14.) der von der Zehlendorfer „Unsortiertheit“ profitierte und sicher vollendete. 

Die Fehlerkette auf Berliner Seite schien kein Ende zu nehmen. Nach einem berechtigten wie unnötigen Foulelfmeter brachte Kaminski den Mecklenburger Aufsteiger mit 3:1 in Front (25.). Und als Schatte glaubte, mit dem Wechsel Taz für Fortino die Wende einzuleiten, kam es noch schlimmer. Die Zuschauer kamen sich vor wie auf einer Kirmesveranstaltung: „Jeder Schuss ein Treffer“. Der arme Hinz konnte einem nur noch Leid tun, als ihm auch noch Friauf einen Ball perfekt unter die Latte knallte (38.) und mit dem 4:1 für die vermeintliche Entscheidung gesorgt hatte. 

Die Zuschauer strahlten in der Pause noch um die Wette, da kamen die Zehlendorfer bereits aus der Kabine geschlichen. „Da gab es ja auch nicht viel zu sagen“, erklärte Schlussmann Nico Hinz. „In der Halbzeit haben wir uns gesagt, dass wir einen schnellen Anschlusstreffer benötigen, um noch das Unmögliche zu schaffen“, fasste Schatte die Pausenansprache später zusammen.  Wenn es nur immer so einfach wäre – doch der Plan ging auf. Der Sekundenzeiger hatte noch keine komplette Umdrehung vollendet, da schlug Neuzugang Faton Ademi das erste Mal für seinen neuen Verein zu. Pauseneinwechsler Marc Zellner hatte die perfekte Vorlage geliefert und Schatte somit ein glückliches Händchen bewiesen.

Ein Ruck schien durch das Zehlerndorfer Team zu gehen, da nahm die Partie an Dramatik noch einmal zu. Der bereits vor der Pause (zu Unrecht?) verwarnte „Maxi“ Obst sah nach einem erneuten Foulspiel den gelb-roten Karton und war fortan zum Zuschauen verdammt. In der letzten Saison, so wagen wir zu behaupten, hätte das den Berlinern das Genick gebrochen. Doch sie dachten nicht daran, die Flinte ins Korn zu werfen.

Es folgten die großen Auftritte des Niclas Warwel. Erst konnte er von mehreren Gegenspielern nicht vom Ball getrennt werden, dann bewies er Übersicht und passte maßgenau auf den mitgelaufenen Taz, der sicher das Leder in den Kasten hämmerte: 3:4 (62.). „Und das noch in Unterzahl“, wie die Zuschauer auf den Rängen richtig bemerkten. Und sie spürten, dass sich die Zehlendorfer noch nicht zufrieden gaben. Als schließlich erneut Warwel auf Ademi passte, der sich wie ein gelernter Mittelstürmer um seinen Gegenspieler wand und eiskalt vollstreckte (70.), schien auf einmal alles möglich. „Schade, dass wir es nicht noch komplett gedreht haben“, war Marc Zellner hinterher sogar etwas enttäuscht. 

Aber die Aufholjagd in Unterzahl forderte ihren Tribut. „Da haben bei uns natürlich auch die Kräfte nachgelassen“, erkannte Warwel, „zumal dann auch noch Dennis (Dombrowe) raus musste und wir nur noch neun Mann hatten.“ Können die Zehlendorfer die gelb-rote Karte für Obst gerade noch verkraften, fehlt er seinen Farben doch nur ein Spiel, so droht Dombrowe länger auszufallen, sollten sich die schlimmsten Befürchtungen (Kreuzbandriss) bestätigen. Ein Verlust, der nur schwer aufzufangen sein dürfte.

Freude machte dafür folgendes: Berkan Taz zeigte nach seiner Einwechslung, welch Talent in ihm steckt. Lernt er noch, sich rechtzeitig vom Ball zu trennen (eine Schwäche manch technisch Begabter), wird er eine absolute Bereicherung für die Zehlendorfer. Faton Ademi bewies den Torriecher, weshalb sie ihn am Siebenendeweg unbedingt haben wollten. Seine beiden Treffer hatten Klasse. Die Mannschaft hat noch nicht die defensive Stabilität, die sie in der Vorsaison so lange ausgezeichnet hat, dafür entdeckt sie ihre Moral. Wir glauben: In der Vorsaion wären bei ähnlichem Spielverlauf beide Begegnungen unweigerlich verloren worden.

So geben die Zehlendorfer den Beobachtern bisher so manches Rätsel auf. Zweimal verschliefen sie die ersten 45 Minuten, um in beiden Partien nach Rückständen beeindruckend zurückzukommen. Der viel beschworene Mannschaftsgeist scheint bei der „kleinen Hertha“ nicht nur eine (zu häufig) verwendete Floskel zu sein. Wer solch eine Moral beweist, um in Unterzahl auswärts einen Drei-Tore-Rücktand innerhalb von 25 Minuten auszugleichen, um den muss einem nicht Bange sein. Ob das ausreicht, um sich in der Spitze festzusetzen, scheint erst einmal zweitrangig. Die Mannschaft, ohnehin eine der jüngsten der Liga, scheint im Vergleich zur Vorsaison aber eine Entwicklung durchzumachen. Wohin das führen wird, bleibt spannend zu verfolgen.

„Wir haben eine tolle Moral bewiesen“

Stimmen zur Zehlendorfer Aufholjagd in Schwerin

Berkan Taz: „So ein Spiel habe ich wirklich noch nicht erlebt. In der ersten Halbzeit waren wir sehr unkonzentriert, haben viele Fehlpässe gespielt und so den Gegner zu Kontern eingeladen. Nach der Pause war es ein sehr starkes Spiel von uns, weil wir noch an uns geglaubt haben.“

Patrick Hinze (Co-Trainer): „Nachdem wir ab der 55. Minute in Unterzahl waren, haben wir eine super Moral bewiesen. Das spricht absolut für den Mannschaftsgeist. Dabei haben wir den Gegner im zweiten Abschnitt mit einfachen Mitteln überwunden, da hätten wir am Ende vielleicht sogar den Sieg verdient. Aber letzten Endes müssen wir mit dem 4:4 absolut zufrieden sein.“

Nico Hinz: „Es war heute alles sehr kurios. Wir haben den Beginn komplett verschlafen, uns auch schlecht bewegt und sind ihnen in die Konter gelaufen, was wir absolut vermeiden wollten. Wir liegen schnell hinten, kommen sofort zurück und bekommen dann drei Gegentore durch individuelle Fehler. In der Pause haben wir gesagt, dass wir nochmal alles versuchen wollen und kommen dann zum Glück auch schnell zum 2:4. In Unterzahl, nachher sogar mit zwei Mann weniger, haben wir dann aber super gekämpft und eine tolle Moral bewiesen.“ 

Marc Zellner: „So ein Spiel habe ich schon lange nicht mehr erlebt. Wirklich schlimm, dass sich Dennis (Dombrowe) wahrscheinlich schwer verletzt hat. Ich hoffe aber, dass es vielleicht doch nicht so schlimm ist. Aber ansonsten ist das natürlich ein Spiel, wie man es als Zuschauer liebt. Schade, dass wir es nicht noch komplett gedreht haben.“

Niclas Warwel: „So etwas habe ich auf keinen Fall schon mal erlebt, es ging ja rauf und runter in dem Spiel. Als es dann beim Stand von 2:4 den Platzverweis gegen „Maxi“ Obst gab, haben wir anschließend eine super Teamleistung gezeigt und hervorragend gekämpft. Die Schweriner haben in der ersten Halbzeit aber auch alles getroffen. Ich glaube, ein 1:4 zur Pause gab es bei uns noch nie. Und so einen Rückstand auswärts aufzuholen... Irgendwie verpennen wir immer die erste Halbzeit, das war auch gegen Strausberg schon so. Es sah dann sogar noch so aus, als könnten wir gewinnen, aber in Unterzahl ließen irgendwann die Kräfte nach. Vor allen Dingen nachdem auch noch Dennis (Dombrowe) verletzt raus musste.“ 

Markus Schatte: „Es war sehr emotionales Spiel. In der ersten Halbzeit saßen wir etwas frustriert auf unserer Bank, denn so etwas ist mir auch noch nicht passiert, seit ich Trainer in Zehlendorf bin. Wir haben in der Defensive desolat agiert. In der Halbzeit haben wir uns gesagt, dass wir versuchen wollen, einen schnellen Anschlusstreffer zu erzielen, um vielleicht noch das scheinbar Unmögliche zu bewerkstelligen und einen Punkt mitzunehmen. Das 2:4 ist uns dann wirklich schnell gelungen und gab der Mannschaft das Selbstvertrauen, noch einmal heranzukommen. Aufgrund einer kämpferischen Leistung haben wir tatsächlich noch das 4:4 geschafft. Es ist insbesondere lobenswert, weil die Mannschaft lange in Unterzahl gespielt hat. Zum Teil stand sie sogar nur mit neun Mann auf dem Platz, trotzdem sind ihr drei Tore gelungen.“

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