F.C. Hertha 03 Zehlendorf

F.C. Hertha 03 Zehlendorf

26.10.2020 / 1. Herren

Mit Tempofußball zum Erfolg

„Kleine“ Hertha dreht 0:1-Rückstand – 4:2-Erfolg in Neustrelitz

Die Zehlendorfer Verantwortlichen treten in diesen Tagen vor Verlegenheit förmlich von einem Bein auf das andere. Bereits mehrfach standen sie nach enttäuschenden Resultaten vor der Frage, was wohl aus der Saison aufgrund des (zum Teil beträchtlich) angewachsenen Rückstands auf die führenden Teams noch herauszuholen sei. Doch die gesamte Liga schlägt ebensolche Kapriolen, wie die Oberliga-Mannschaft der „kleinen“ Hertha. Nach der Strausberg-Enttäuschung vom Mittwoch zeigten die Berliner am Sonntag in Neustrelitz wieder ihr anderes (positives) Gesicht. Und aufgrund der (schon nicht mehr) überraschenden Ergebnisse der Konkurrenz, scheint nun plötzlich wieder einiges möglich.

„Rumpftruppe“ ist sicherlich der falsche Begriff, treffender wäre „personelle Rückschläge“, wie es Co-Trainer Robert Schröder bezeichnete. Diese hatten die Zehlendorfer vor der Auswärtspartie beim Tabellenvierten TSG Neustrelitz zu verkraften, mussten sie doch auf wichtige Akteure verzichten: Lenny Stein (gelb-gesperrt), Melih Hortum und Egzon Ismaili (erkrankt) sowie Bruno Ott (verletzt) traten die Reise gar nicht erst an – dafür kehrte Torjäger Sebastian Huke in den Kader zurück.

Es begann so, wie es beinahe schon zum Standard für die Berliner geworden ist. Zwar bot sich Patrick Jahn nach noch nicht einmal 60 Sekunden die Gelegenheit zum 1:0, doch konnte er die Vorlage Mike Rybergs nicht nutzen, sein Schuss wurde im letzten Moment geblockt. Dafür schlug es auf der Gegenseite ein. Ein Missverständnis in der Zehlendorfer Hintermannschaft nutzte Raivis Vilumsons zum frühen 1:0 (5.). Nach Greifswald, Tasmania und Strausberg bereits das vierte 0:1 in Folge. „Bitter, dass wir uns so schnell wieder ein Gegentor fangen. Ich weiß auch nicht, woran das liegt“, war Mike Ryberg auch nach Spielende noch etwas ratlos und gab zu: „Nach dem 0:1 habe ich kurz an das Strausberg-Spiel gedacht.“

Die Berliner wackelten fortan bedenklich, fanden nicht ins Spiel und wer weiß, welchen Ausgang die Partie genommen hätte, wäre nicht Schlussmann Paul Büchel rechtzeitig zur Stelle gewesen. Nach 23 Minuten stand Neustrelitz' Justin Schultze plötzlich frei vor Büchel, der mit starker Fußabwehr das 0:2 verhinderte. Ob die in rot gekleideten Gerdts-Schützlinge da noch einmal zurückgekommen wären? Aber wie sagte doch einst Herthas Bundesliga-Trainer „Fiffi“ Kornsbein lapidar zu solchen Momenten: „Der Torwart gehört bei uns zur Mannschaft!“ Punkt!

So ermöglichte Büchel seinen Mitspielern, sich zu fangen und allmählich die Kontrolle zu gewinnen. Ein Doppelschlag drehte die Partie vollends. Zuerst bediente Ryberg von links den am zweiten Pfosten lauernden Zihni Taner Hirik. Hirik bekam das Leder nicht schussgerecht unter Kontrolle und hob daher (folgerichtig) auf Jahn, der per Kopf zum 1:1 ausglich (31.). Für Jahn war es „überragend von Zihni (Hirik), dass er bei beiden Toren die Übersicht behält. Beim ersten hat er schnell erkannt, dass der Ball nicht richtig liegt und hebt ihn einfach quer zu mir. Und auch der zweite Treffer war einfach gut rausgespielt.“ Wie wahr!

Der 2:1-Führungstreffer hätte glatt als Kopie des ersten Zehlendorfer Tores durchgehen können. Mit zwei Unterschieden: Die Eingabe kam diesmal von Jason Rupp, und die anschließende Vorlage Hiriks verwandelte Jahn nicht mit dem Kopf sondern per Direktabnahme mit dem Fuß (34.). „Ich wollte bei beiden Vorlagen einfach auf Nummer sicher gehen, weil Patrick gut stand und der Ball auch nicht ideal lag. Das ist ganz gut gelungen“, sagte Hirik später bescheiden.

Die Berliner hatten inzwischen die Hoheit im Mittelfeld übernommen. „Wir haben irgendwann gemerkt, dass der Gegner mit unserer Schnelligkeit nicht klar kam, das haben wir genutzt“, erklärte Hirik einen der entscheidenden Faktoren für die Wende. Auch Maximilian („Maxi“) Obst wies darauf hin: „Unsere Stärke ist dieses Jahr, dass wir als Außen unglaublich schnelle Spieler haben. Diese Stärke müssen wir noch viel häufiger nutzen. Heute haben wir das gut gemacht.“ Ryberg ergänzte: „Wir haben schnell erkannt, dass wir auf den Sechser-Positionen viele Freiräume hatten, so konnten wir von dort aus viele Chancen entwickeln.“

Natürlich wollte Co-Trainer Robert Schröder keinen einzelnen Spieler herausheben und lag auch mit seiner Einschätzung richtig: „Wir haben immer wieder die Lücken gefunden und dann mit einer Leidenschaft und Euphorie Fußball gespielt.“ Doch zur Wahrheit gehört auch, dass Obst am gestrigen Sonntag sein wohl bisher bestes Spiel im Dress von Hertha 03 abgeliefert hat. Jederzeit aufmerksam, lieferte er ein unglaubliches Laufpensum ab, eroberte Bälle im Minutentakt, setzte geschickt die schnellen Hirik und Phil Butendeich ein. Obst, angesprochen auf seine ausgezeichnete Leistung, wiegelte ab: „Man ist immer nur so gut wie die Mannschaft. Wir haben es geschafft, als Team zu agieren und nach dem Rückstand auch sofort wieder nach vorn gespielt. Keiner hat sich hängen lassen und wir haben wirklich als Einheit gewonnen. Nur so können wir die Spiele gewinnen.“

Die Entscheidung hätte schon im ersten Abschnitt fallen können, doch klatschte Hiriks Schuss nach Vorlage von Rupp an den rechten Innenpfosten und rollte von da parallel zur Torlinie (39.). Nach dem Wechsel blieb der erwartete Ansturm der Gastgeber im Rahmen. Zu sicher agierten die beiden Innenverteidiger Louis-Nathan Stüwe und Dennis Dombrowe. Dombrowe, ohnehin einer der beständigsten Zehlendorfer seit Jahren, scheint in dieser Saison aufgrund seiner Erfahrung in eine neue Rolle zu schlüpfen. Er gehört inzwischen zu den (stillen) Anführern, der zudem für jeden Trainer aufgrund seiner Flexibilität ein Faustpfand ist. Innen- wie Außenverteidiger oder Sechser-Position, Dombrowe war in den neun Spielen bereits überall gefragt. Einen guten Auftritt lieferte auch Igli Cami ab: Sicher im Stellungsspiel, unaufgeregt am Ball, schaltete er sich (wenn möglich) auch immer wieder offensiv ein.

Das Tempospiel, eine der Zehlendorfer Stärken, kam im zweiten Abschnitt besonders zum Tragen. Zahlenmäßiger Ausdruck waren die Treffer zum 3:1 und 4:1: Nach einem lang geschlagenen Ball von Obst setzte sich Ryberg energisch gegen zwei Gegenspieler durch, ließ sie stehen und vollendete scharf und kompromisslos ins rechte Eck. Auf seinen Treffer angesprochen, bewies Ryberg Humor: „Meinem Tor ging ein langer Ball von Maxi Obst voraus, Patrick Jahn schreit zwar noch, dass ich den Ball quer legen soll, aber da dachte ich mir: Den haue ich mal schön selber rein.“ Das 4:1 ging auf das Konto des schnellen Butendeich, der nach Kopfballvorlage des eingewechselten Huke seinen Gegenspieler abschüttelte, allein dem Neustrelitzer Gehäuse zustrebte, die Nerven behielt und den Ball geschickt an Tormann Kostal vorbei schlenzte (78.). Das Neustrelitzer 2:4 durch Schultze (88.) fiel nicht mehr ins Gewicht. 

„Natürlich waren wir nach dem Strausberg-Spiel alle enttäuscht. Aber wie die Mannschaft nach den personellen Rückschlägen heute aufgetreten ist, dazu hast du am Mittwoch auf die Mütze bekommen und liegst hier nach fünf Minuten 0:1 hinten: Da kann man die Moral, das Auftreten und das Engagement nicht ausdrücklich genug loben. Das muss für uns der Maßstab sein“, legte Schröder die Messlatte hoch. Für Jahn ist klar, wie es weitergeht: „Weiter dran bleiben und Gas geben. Montag gut regenerieren, denn wir haben zurzeit einen sehr kleinen Kader, da müssen wir alle Kräfte sammeln, um gegen Stahnsdorf mit voller Power spielen zu können.“

Übereinstimmend betonten alle die „tolle Mannschaftsleistung“. Und wirklich: Wie schon gegen Tasmania gewann man den Eindruck, dass hier eine geschlossene Einheit auf dem Platz agierte. Für Schröder das entscheidende Puzzle-Teil: „Wenn wir mit dieser Euphorie, aber auch mit kühlem Kopf spielen, dann haben wir eine ungeheure Qualität. Wenn wir aber diese Tugenden nicht in die Waagschale werfen, wird es gegen jede Mannschaft schwer. Wir können uns heute freuen, morgen meinetwegen auch, aber ab Dienstag müssen wir voll fokussiert sein, wenn wir endlich mal einen positiven Trend fortsetzen möchten.“

Tatsächlich hat die „kleine“ Hertha in dieser Spielzeit schon so manch bemerkenswerten Auftritt hingelegt – nur um im nächsten Augenblick wieder einen Rückschlag zu erleiden. Bislang vermochte sie es nicht, Konstanz zu zeigen, was zahlenmäßig belegt ist: Bis heute wartet sie auf zwei Siege in Folge. In manch anderer Saison hätte dies längst dazu geführt, ambitionierte Ziele ad acta zu legen. Doch in der Spielzeit 2020/21 zeichnen sich die führenden Teams zwar durch viele Dinge aus, Kontinuität gehört jedoch zweifellos nicht dazu. Dadurch bleibt die „kleine“ Hertha immer noch im Gespräch, was sich im kommenden Derby gegen die RSV Eintracht Stahnsdorf (hoffentlich) auch in der Zuschauerzahl niederschlägt. Wichtiger aber wäre es, die gegen Neustrelitz gezeigte Leistung zu konservieren. Die Fähigkeiten – wir wiederholen uns da gerne – sind zweifellos vorhanden. Der kommende Spieltag mit den Ansetzungen Zweiter gegen Erster (Greifswald – Tasmania) und Vierter gegen Dritter (Hertha 03 – Stahnsdorf) kann die Spitze durchaus noch enger zusammenführen.

Unsere Partner