F.C. Hertha 03 Zehlendorf

F.C. Hertha 03 Zehlendorf

05.08.2021 / 1. Herren

„Ich fände es schön, wenn wir um etwas spielen würden!“

Oberliga-Team mit starkem Zehlendorfer Element – FuWo sieht in „kleiner“ Hertha Mitfavoriten

-Saisonvorschau von Oliver Kellner-

Nein, wirklich nicht! Große Töne sind aus dem Umfeld der Zehlendorfer Oberliga-Mannschaft in diesem Jahr nicht zu hören. Das mag nach der neunmonatigen Corona-Pause damit zusammenhängen, dass so genau niemand die Leistungsfähigkeiten einschätzen kann. Weder die des eigenen Teams, noch die der Konkurrenten. Und so halten sich alle mit „Kampfansagen“ ein wenig zurück, was nicht schlecht sein muss und auch keinesfalls bedeutet, dass man am Siebenendenweg nicht Ambitionen hegt.

Die üblichen Phrasen, die alljährlich vor Saisonbeginn „gedroschen“ werden, bleiben auch in diesem Sommer nicht aus. Und doch ist es ein wenig anders. Von „Wundertüten“ ist da häufig die Rede, wenn man von der anstehenden Spielzeit spricht, doch 2021 hat es seine Berechtigung. „Man hat von den anderen Mannschaften ja monatelang nichts gesehen und gehört“, ist der neue Team-Manager „Zippo“ Stüwe-Zimmer etwas unsicher. Zu ambitionierten Zielen ließ sich das neue Trainergespann Fabian Gerdts und Robert Schröder im Interview auch nicht mit einem Vergleich aus der Zehlendorfer Vereinsgeschichte locken. Der Verein erregte 1979 vor Saisonbeginn mit dem Slogan „Wir steigen auf“ (Nicht: „Wir wollen aufsteigen!“) Aufsehen. Der damalige Trainer Wolfgang John erzeugte den Druck bewusst, um seine Spieler zu motivieren. Was gelang, sein Team wurde mit begeisterndem Fußball Meister. Fabian Gerdts sieht „den Mehrwert in dieser Aussage“ nicht. „Sie lenkt einfach vom Wesentlichen ab, wenn ich mich da vor die Mannschaft stelle und so ein Ziel hinausposaune“ und Robert Schröder befürchtet eher die Gefahr, dass es dann wieder heißt „in Zehlendorf haben sie nur eine große Klappe.“ Und so halten sie mit einer präzisen Zielsetzung eher etwas hinter dem Berg. Stattdessen geht es ihnen um die Art, wie man Fußball spielen möchte: „Wir möchten ein höheres Umschalttempo an den Tag legen.“ Stüwe-Zimmer wünscht sich „einen wilden Fußball wie von Borussia Mönchengladbach in den Siebzigern - mit vielen Junioren, die die Zuschauer schon aus dem Verein kennen.“ 

Präsident Kamyar Niroumand, der die „kleine Hertha“ auf dem 3. Tabellenplatz am Saisonende erwartet, spricht in diesem Zusammenhang vom Zehlendorfer Weg. Für die Zuschauer sah das oft anders aus: Abgänge von Melih Hortum, Berkan Taz, Timur Gayret, Paul Wegener, Niko Koulis und Niko Bretschneider sprachen eher dafür, dass man die Jugend nicht im Verein halten konnte. Doch wer den aktuellen Kader genauer betrachtet, wird feststellen, dass sich die Beharrlichkeit der Zehlendorfer auszuzahlen scheint: Melih Hortum (zurückgekehrt), Louis-Nathan Stüwe (zurückgekehrt), Dennis Dombrowe, Bruno Ott, Patrick Amm, Tim Grabow (zurückgekehrt), Romario Hartwig (zurückgekehrt), Carl Hopprich, Nils Jonas, Fotios Pantazelos, Deniz-Kaan Hirik, Egzon Ismaili und Zulu Ernst – nie war das Zehlendorfer Element stärker vertreten. Der „Zehlendorfer Weg“ füllt sich mit Leben.

Ein bisschen „Schuld“ daran, sind auch die beiden Trainer. Sie sorgten schon in der Vorbereitung dafür, dass von der engen Verzahnung zwischen Junioren- und Männerbereich „nicht nur gesprochen wird, wir wollen es auch vorleben. Warum sollen wir immer bis April warten? Wir wollen die Jungs früher kennenlernen“, erklärt Schröder. Hilfreich ist da auch „die gute Kommunikation mit den A-Jugend-Trainern Alexander Kwasny und Kevin Tiefenbach“, wie Gerdts erfreut schildert. Und so kamen in den Testspielen auch Junioren zum Einsatz, die für das Männerteam (noch) gar nicht eingeplant sind. „Und dennoch waren alle top motiviert bei uns zu spielen“, so Gerdts.

Was aber ist etwas konkreter von den Zehlendorfer Schützlingen zu erwarten? Horchte man im Umfeld, gab es nur vage Aussagen (die einzelnen Prognosen erscheinen am Freitag an dieser Stelle). Einzig Rainer Beckmann vom Ältestenrat legte sich fest: „Platz 1“. Weil er eben immer Platz 1 tippt. Der Greifswalder FC und der Rostocker FC wurden als Aufstiegskandidaten am häufigsten genannt. Eine Prognose, die sich mit der der Fußball-Woche deckt. Berlins ältestes Fußball-Fachblatt stuft die „kleine Hertha“ in die Kategorie Favoriten ein. 

Blicken wir zuvor noch ein wenig zurück: Als innerhalb weniger Tage die Verluste von Sebastian Huke, Patrick Jahn, Phil Butendeich und Kolja Oudenne bekannt wurden, zuckte mancher innerlich zusammen. Zwei große Talente, die man sehr gerne behalten hätte, dazu der Top-Torjäger der letzten Jahre standen auf der Abgangsliste. Würde man derartige Qualität gleichwertig ersetzen können? So genau weiß das noch keiner, und dennoch lassen die Resultate der Vorbereitung hoffen. Gerdts verweist jedoch aus eigener Erfahrung als Spieler darauf, „dass man sich davon nicht blenden lassen darf.“ Und auch für Schröder haben die Ergebnisse wenig Aussagekraft: „Man muss sich davon lösen, die Resultate zu betrachten.“ Und doch fiel die defensive Stabilität ins Auge: 1:0 gegen TuS Makkabi, 1:0 gegen SV Empor, 1:0 beim FSV Luckenwalde, 2:1 gegen Blau-Weiß 90, 7:0 gegen den TSV Rudow. Es hätte schlechter laufen können. „Wir haben im letzten Jahr zu viele Gegentore bekommen. Wenn wir ein Spitzenteam werden wollen, und das wollen wir, müssen wir uns weniger Treffer einfangen“, erkannte Gerdts das Hauptübel des letzten Jahres. 17 Gegentore in 9 Spielen sprechen eine deutliche Sprache!

Auffällig war bisher die Treffsicherheit von Zulu Ernst. Mit seiner unbekümmerten Art bewies der Neuzugang von den A-Junioren gleich, dass er weiß, wo das Tor steht. Bemerkenswert dabei – und das scheint noch wichtiger als die Trefferquote – dass Ernst die Siegtreffer gegen Makkabi, Empor und Luckenwalde erzielte. Also die Tore zum 1:0, was man in der Fußballersprache als Dosenöffner bezeichnet. Auch Arthur Langhammer beeindruckte: Schnelle Auffassungsgabe und Passgenauigkeit. Keine verrückten Dinge, aber die einfachen Aktionen, auf die es im Liga-Alltag ankommt. „Mushakir Razeek gibt uns über die Außenbahn eine neue Geschwindigkeit, Romario (Hartwig) und Deniz (Citlak) haben Tempo und Zug zum Tor. Tim (Grabow) versprüht enorm Esprit, ist emsig und umtriebig. Auch alle anderen wie Tom (Köster), Fotios (Pantazelos), Nils (Jonas) und Deniz-Kaan (Hirik) sind alles lernwillige Spieler, die Bock haben auf Oberliga-Fußball“, charakterisiert Schröder die anderen Neuzugänge. 

So bieten sich den Trainern viele Varianten in der Aufstellung und der Kampf um die Plätze könnte nur förderlich sein, wäre nicht das Verletzungspech ein ständiger Begleiter. So fallen zum Saisonstart mit Zihni Taner Hirik, Deniz Citlak (beide fehlten die gesamte Vorbereitung), Tim Grabow, Carl Hopprich und Egzon Ismaili wichtige Akteure aus. Und dennoch verfügen die Zehlendorfer über ausreichend Qualität, um am Wochenende in Pampow einen guten Saisonstart hinzulegen.

„Das Niveau der Oberliga ist deutlich gestiegen, ich erwarte daher eine äußerst spannende Spielzeit“, gab Niroumand im Sonderheft der Fußball-Woche zu Protokoll. Da scheinen sich alle einig zu sein, denn auch Fabian Gerdts erwartet, „dass es eine Spitzengruppe geben wird mit mehreren Mannschaften. Ich glaube nicht, dass da einer mit sieben Punkten Vorsprung weglaufen wird. Es wird ein sehr enges Rennen, in dem es immer wieder Schwankungen geben wird.“ Ganz nach dem Geschmack von Team-Manager Stüwe-Zimmer, der darauf hofft, dass sich eine offene Spielzeit auch auf die Zuschauerzahlen niederschlägt: „Wenn wir 300 Zuschauer pro Spiel hätten, wäre das für uns schon eine tolle Sache. Dazu noch die vielen Derbys, auf die ich mich sehr freue!“ 

Man spürt förmlich bei allen im und ums Team die Vorfreude. Und dennoch herrscht auch Unsicherheit: Wo stehen wir selbst, wie sind die anderen und – wird man die Saison endlich einmal zu Ende spielen können? Leben könnten die Zehlendorfer Spieler und Fans sicherlich damit, sollte der Wunsch von Trainer Fabian Gerdts in Erfüllung gehen: „Schön fände ich, wenn wir um irgendetwas spielen. Egal, ob man es am Ende schafft Erster zu sein, aber wenn wir um etwas gespielt haben.“

Unsere Partner